Transalpine Run 2014 der Dani´s

Danke!

Auf diesem Wege möchten wir uns ganz herzlich für all die netten Worte, für Eure Gesellschaft, Eure Tipps und Unterstützung bedanken!
Für uns war dieses Event in jedem Fall ein großartiges, unvergessliches Erlebnis, das zwar von vielen Schmerzen und Entbehrungen, aber auch von großer Freude geprägt war. 
Ohne Euch wäre dies aber nicht möglich gewesen! 
Vielen Dank für alles!

Wir hoffen, ihr haltet uns auch 2015 die Treue wenn wir uns abermals über die Alpen jagen lassen.

Wir wünschen euch nur das Beste!

Daniel & Daniel

Tag 1 – Auf nach St. Johann!!

Nur nicht an den ersten 2 Tagen raus fliegen!!
Die größte Schmach vermeiden!
Irgendwie hängt da auch die Freundschaft dran! Und Petrus hat da wohl auch eine Wette gegen uns laufen.
Es regnet schon zu Beginn ununterbrochen!
Aber wir sind nicht alleine! Über 300 Teams stehen mit uns am Start! Jedes mit unterschiedlichsten Beweggründen, aber alle mit dem Ehrgeiz und Ziel 8 Tage Alpenlauf zu bestehen!
Also, wenn du über die rote Matte läufst, dann wird es ernst. Ein kleiner Piepston signalisiert dir den Beginn der Zeitnahme! Bist du zu spät – bist du raus! Und wir wissen, wir laufen nicht um den Platz. Wir laufen gegen die Zeit und die persönliche Leidens- und Leistungsfähigkeit!
Knapp 49 km für den ersten Tag! Das ist ein Wort!
Am ersten Tag schlagen die noch ungelernten Lauflektionen wie ein Hammer zu.
1. Iss nicht zu viel zum Frühstück! Laufen und Verdauen können sich in die Quere kommen! Und wie!
2. Bequeme Laufschuhe sind nicht immer die passenden Laufschuhe! Zuviel Bewegung im Schuh verbunden mit Nässe sorgt bei mir für ungewollte Blasenbildung an wirklich allen Zehen!
Aber Schwamm drüber – Peanuts(Erdnüsse)!
Die Strecke beginnt recht einfach. Zu Beginn ein Stück Straße, dann ein bisschen Feldweg und danach kommt der Trail. Holprige kleine Pfade, die kreuz und quer, hoch und runter sich ihren Weg durch das Gelände auf den Berg zu bahnen. Glitschige Wurzeln, lockere Steine, große Absätze. Spätestens hier hat das Breitensportflanieren ein Ende. Wir reihen uns in die Kette der konzentrierten Bergaufsteiger ein. Kommt ein Stück gerade oder bergab, wird gerannt.
Es ist beruhigend zu wissen, dass auf manchen Hinweisschildern vom TAR die restliche Entfernung steht. Nur noch 40 km – immerhin, weniger als ein Marathon! Für mein Kopfkino wird wirklich nach jedem aufbauenden Strohhalm gegriffen. Funktioniert überaus erfolgreich!
Und wir sind weiterhin einfach unterwegs. Der Regen hat sämtliche erdigen Wege und Wiesen in unberechenbare Schlitterabschnitte und Matschfallen verwandelt.
Graziöses Hinfallen und Rutschen, ist auch eine neue Paradedisziplin an diesem Tag. Fluchen inklusive! Hosen und Jacken tragen die Zeichen eines verzweifelten Kampfes, den Berg einigermaßen aufrecht herunter zu kommen. Vergebens! Schuhe mit schönen Schriftzügen werden zu Schlammklumpen mit Beinen! Hände werden zu kleinen Baggerschaufeln, die wie Anker versuchen ein weiteres Rutschen am steilen Hang abzufangen. Und trotzdem bewegen wir uns weiter, weiter, weiter vorwärts! Eine Stunde, zwei Stunden, fünf Stunden, sieben Stunden und es ist immer noch kein Ende in Sicht!
Als wir gerade denken: „Nur noch 3 km“ – überrascht uns das nur „noch 5 km“ Schild.
Die letzten Kilometer sind immer die schwersten – es zieht sich, wie Teer fließen kann. Ewig!
Langsam aber stetig spulen wir die letzten Kilometer ab.
Was für eine Erlösung. Nach 9 1/2 Stunden ist das letzte Piepsen, beim Überqueren der Ziellinie in St. Johann zu hören. Tag 1 geschafft!
Wow! – das waren also 48,70 km. Aha – so fühlt sich das an!

Noch etwas orientierungslos im Ziel herumtapseln. Essen und Trinken abgreifen!
Es folgt der 2. Teil jeder Etappe. Mindestens genauso lang und voller Überraschungen:
Wo sind die Taschen?? Wo das Camp?? Pastaparty, wir verhungern!!!

 

 

Das (Dschungel)Camp – die tägliche Portion Horror!

Das Camp ist wie Krieg, nur ohne Trauma und Tote. Im Nachhinein immer zu einem mystischen Ort glorifiziert, den nur Auserwählte betreten dürfen und gesehen haben. Es ist schwer zu beschreiben und wir zeigen euch absichtlich kein Bildmaterial um eure zarten Gemüter nicht unnötig zu belasten!
Für den einen ist das Camp ein, mit dem TAR, untrennbar verbundenes Abenteuer, für manch anderen Hölle und Stress. Jeder Tag, jedes Camp, ist anders! Es beginnt aber immer mit einem Meer aus teils nassen Schuhen.
Nachdem uns der bärtige Torwächter, mit einer Beschreibung unseres Taschenstandortes, Einlass in die hiesige Turnhalle gewährt hat stellen wir unsere nassen, verdreckten Schuhe zu den anderen 150 Paar Schuhen im Eingangsbereich. Noch schnell mit Zeitungspapier ausstopfen, dann wird zu unseren Taschen geschlurft. Vorbei an erschöpften Körpern in Schlafsäcken, halb sitzende, in Taschen wühlende Leute die mit letzer Kraft ihre Luftmatratzen aufblasen. Es wird mehr geflüstert als laut gelacht. Wir sind jeder für sich und doch alle zusammen – Schlafplatz an Schlafplatz, mit einer kleinen Gasse zum Gehen.
Ja, der erste Tag hat seine Spuren hinterlassen! Aber wenigstens sind die Duschen warm – was für eine Wohltat!
Danach werden die Sachen zum trocknen irgendwo aufgehängt und das Nachtlager aufgebaut.
Essen – wo gibt´s das Essen?
Unser Zieleinlauf war am frühen Abend. Entsprechend spät sind wir dran. Als wir zum Essen kommen, ist es bereits dunkel und die Gratulationen zu den ersten Plätzen der Etappe sind bereits durch. Es gibt Fleisch mit Reis. Egal! Essen. Es schmeckt! Zum Glück!
Ich kenne keinen richtigen Hunger, aber wenn der Körper nach Energie schreit – dann probierst du auch mal etwas Neues! An diesem Tag würde ich auch Blutwurst essen (Das ist kein Essensvorschlag!!!). Ich muss einfach!
Kaum im Camp zurück geht schon das Licht aus. Überpünktlich!
Das Camp hat in der Nacht seinen ganz besonderen Charm und Reiz. Du solltest aber immer vorbereitet in so eine Nacht gehen. Denn jede Stunde, die du nicht schläfst, fehlt dir an Regeneration!
Leise Stimmen von weit hinten, kleine Huster, dass rascheln von Schlafsäcken. Und dann gibt es da die Variationsvielfalt an Schnarchen. Dieses Spektrum an Lautstärke und Tönen. Der Wahnsinn!

Es ist nicht unbedingt so, dass jeder im Camp schnarcht, aber unter den vielen ruhigen Schläfern gibt es orchestrale Koryphäen, die aus der Masse hervorstechen. Manchmal findet auch ein Wechsel oder Kopf an Kopf schnarchen statt. Irgendwann, den Schlafsack über den Kopf gezogen, schlafe auch ich tief und fest. Ab da ist es mir gleich, wer, was, wie laut ist. Ich habe auch irgendwo ein paar Ohrstöpsel! Aber wozu suchen, wenn man eh schon fast schläft?

Tag 2 – Auf nach Neukirchen!!

Der Start ist auf 7 Uhr angesetzt. Trotzdem herrscht noch eine lockere gelöste Stimmung in den Startblöcken!
Die Medical-Crew wickelt, klebt und kühlt bei so manchem Läufer noch ein paar Blessuren vom Vortag. Die letzten Getränkereservoirs werden aufgefüllt. Und jedes Team geht zu seinem Startblock. A, B oder C! Wir haben natürlich C. Nicht die schnellsten, aber unser Laufumfeld ist immer unkompliziert und fröhlich! Eine Wolke aus Heiterkeit. Mittlerweile erkennen wir auch ein paar Gesichter vom Vortag wieder.
Alles Persönlichkeitsunikate! Wenn du schon beim Start lachen musst – verfliegen die ersten 15 km wie von selbst! „Highway to Hell!“ läutet den Start ein, wir gröhlen mit, recken unsere Fäuste gen Himmel, völlig losgelöst erklingt der Startschuss …. und wir sind wieder unterwegs!
 Unsere Etappe ist diesmal kaum kürzer als am Vortag, über 49 km und 1800 Höhenmeter. Also noch mal 300 Meter mehr in der Höhe! Beruhigender Weise sind die ersten 25 km nicht all zu steil. Erst ab Kilometer 30 kommt der Aufstieg. Wir haben einen Plan ausgetüftelt, die Zeit wie so oft der eigentliche Gegner. Schnell in der „Ebene“, Zeit rauslaufen um den Berg relaxt angehen zu können.
Der Profi kalkuliert wohl etwas vorsichtiger und nimmt auch die unvorhersehbaren Eventualitäten mit auf.
Wir haben die klassische Milchmädchenrechnung, die uns auch prompt nach 17 km um die Ohren fliegt. Besser gesagt mir!
Der Akku ist plötzlich leer! 
Zwangspause! 
Zuckertiefststand!
Händeweise wird der Traubenzucker in den Mund geschaufelt und mit kleinen Schlucken aufgelöst!
Eine echt unangenehme Zwangshektik! Und da ist es wieder hin: unser schönes Zeitpolster!
Ich entscheide mich, bei der nächsten Verpflegungsstation mehr Happen als Häppchen zu mir zu nehmen, die der Anstrengung mehr entsprechen!
Dani steht die Panik wie ins Gesicht geschrieben – „Nein – Nicht jetzt rausfliegen!“
Aber nicht nur wir haben zu kämpfen! Manchem Team steckt der Vortag noch sehr in den Knochen oder es kommen neue Beschwerden hinzu.
Das ist der Anfang!
Es hat ja niemand behauptet der TAR ist ein Spaziergang zur Eisdiele. Er ist lang, er ist ein Mahlwerk, der permanent an Knochen, Muskeln, Sehnen und der Kraft zieht und zerrt. Er saugt dir regelrecht die Energie raus. Der Wille ist wohl zeitweise das Einzige, was verhindert auseinanderzubrechen oder aufzugeben! Besonders am Berg!

Wir machen trotzdem weiter. Das Team „TV Konstanz“ mit Heidi und Susanne hat in etwa unser Tempo und sorgt für Ablenkung von Berg und Strecke, die noch vor uns liegt. Wir nennen sie „die fliegenden Röcke“ – weil sie, für unser Niveau, schon sehr schnell unterwegs sind. Röcke machen schneller!? Wir brauchen mehr Röcke! Auch eine These, die sich zu den anderen Gedankenblitzen, die einem während langer Passagen einfallen, hinzu gesellt. Sie nennen uns wiederum „Die schwarzen Teufel!“ … wohl fluchen wir lauter als gedac

 

Wie nicht anders zu erwarten, pünktlich am Berg, setzt ordentlicher Platzregen ein! Die richtig dicken Tropfen! Wir wussten es zum Glück schon vorher und sind irgendwie froh, dass es nicht früher angefangen hat. Wenn du weißt, dass die Jacke dicht ist und trotzdem ein üppiges Rinnsal an Regenwasser aus dem Ärmel läuft, dann stehst du im Alpen-Monsun!
Von diesen Nebensächlichkeiten dürfen wir uns aber nicht ablenken lassen.
An der letzten Verpflegungsstation vor dem Berg, wird nochmal richtig Energie getankt, tief durchgeatmet und ab da geht es fast 6km richtig Berg auf! Mehr steigen als gehen! 
Irgendwann ist der Regen wieder weg. Es ist nur noch nass. Irgendwo zwischen all den zerklüfteten Steinen in der Wiesen-Mooslandschaft ist der Weg, der weiter auf den Berg führt. Wir sehen nur kleine TAR-Ameisen, die am Horizont hinter dem Bergkamm verschwinden.
Nichts mehr mit Lachen! Die Anstrengung zehrt jeden Satz auf. Wir poltern uns Satzfetzen entgegen, die durch  schwere Atmung immer unterbrochen werden. Relaxt den Berg hoch, das habe ich mir etwas anders vorgestellt.
Was für ein Tag!
Der Bergrand über uns wird allmählich größer und das grüne Tal unter uns immer kleiner. Wolken ziehen zu und zerreißen wieder. Wir mitten drin.
Schweigend absolvieren wir die letzten schmalen Serpentinen des Trails zum Kamm.
Ich bin froh endlich oben anzukommen, aber nicht erleichtert.
Auch Dani muss mal tief Luft holen. Kurz verschnaufen, dann aber wieder schnell weiter!
Wann wir die Bergstation gesehen haben, weiß ich nicht mehr. Nebelschwaden hüllen sie ein und geben sie kurz darauf wieder frei. Zwischen uns und der Station ist nur noch ein holpriges Grasfeld.
Es ist eine Mischung aus Wasserlöchern und Schlammsenken – aber kein Weg. Irgendwann gebe ich es auf, den richtigen Stein und das trockene feste Stück Gras zu finden, auf das ich treten muss. Meine Schuhe haben schon ihr eigenes kleines Feuchtbiotop entwickelt. Wenn er nicht ins Wasser platscht, schnalzen bei jedem Schritt kleine braune Wasserblasen aus dem Schuh.
Bis zu diesem Punkt sind wir bereits über 8 Stunden unterwegs.
Da stehen wir am letzten Verpflegungspunkt an der Bergstation. Die Sicht 30 Meter. Es ist nasskalt und wir frieren. Die ersten Erschöpfungsanzeichen kreisen wie gierige Geier über uns. Fast geschafft. Nur noch ein paar Kilometer. Zwischen uns und einem warmen Essen ist nur noch ein letzter Trail.
Wir reissen uns nochmal zusammen. Die Schotterpiste runter und rauf auf die Waldwege. Irgendwann kommt uns auf einer Serpentinenstraße ein Auto entgegen. Zivilisation! Ha!
Wir können das Ziel nicht nur von oben sehen, wir hören es sogar. Zwei elendig lange Kilometer bis wir schlussendlich nach über 10 Stunden mehr oder weniger über die Ziellinie wanken.
Tag 2 geschafft! – Neukirchen! Ich bin kaputt. Dani geht es nicht besser. Und unsere Füße bringen uns um!

Täglich grüßt das (Murmel)Camp!

Wenn ich einen Wunsch für diesen Tag im Camp frei hätte – wäre es: bloß keine Treppen!Unsere Taschen sind 2 Etagen tiefer am Ende eines Ganges geparkt. Neue Nachbarn inklusive. Mein Bedürfnis beschränkt sich nur noch auf elementare Dinge. Reden gehört vorerst nicht dazu.
Nachdem wir uns aus unseren Sachen gepellt haben und duschen waren, beginnt die Schadensbegutachtung! Meine Füße sind ein Blasentrümmerfeld. Weiß und aufgeweicht von der stundenlangen Nässe in den Schuhen. Entsprechend ist auch mein neuer Gang. Jeder Schritt ist wie das Treten in Glasscherben. Aber es ringt mir ein kleines Schmunzeln ab, da ich nicht der Einzige bin, der mehr watschelnd als gehend in den Fluren vorankommt. Also watschle ich zur Medical-Crew die Straße runter in den Start/Zielbereich. Blasen aufstechen, austrocknen und Blasenpflaster drüber. Fertig – fast wie neu! Und wieder ist ungewiss, ob wir am Ende des nächsten Tages noch dabei sein werden.
Das ist die einzige und größte Sorge!
Dani‘s Falten auf der Stirn bilden schon Standwellen, die selbst mit einem hartnäckigen Bügeleisen nicht platt zu kriegen wären. Diese Etappe hat an der Motivation genagt! Briefing und Pastaparty fallen für uns an diesem Tag aus. Dafür müssten wir mit der Seilbahn auf den Berg. Die Talstation ist 600m weit weg. Zu weit, schaffen wir nicht mehr. Wie so oft sind wir zu spät dran, zu zerrüttet! Für den Rest des Tages bevorzugen wir Bewegungsminimalismus! Unweigerlich führt uns das auf die andere Straßenseite in eine urige Gastwirtschaft.
Erholung pur – es ist warm, das Essen gut und das Bier viel zu erfrischend! Zwei weitere Läuferteams kommen etwas später noch dazu. Je mehr es draußen regnet, desto gemütlicher wird es drinnen!
Währenddessen schleppen sich unwissende Zieleinläufer doch noch zur Seilbahn. Oben in der warmen Bergstation gibt es die Pastaparty. Eine Venusfalle für hungrige. Keiner von ihnen ahnt, dass der Berg mittlerweile mit Schnee, Matsch und Sturm eine Wand aus Schmerz und Tränen bereithält. Wer es dennoch in den rettenden Schutz der Bergstation schafft, wird zusätzlich mit einer 30minütigen Wartezeit auf sein Essen belohnt. Plätze zum sitzen sind rar. Du fühlst dich der Realität entrückt. Draußen stürmt es. Drinnen stehst du, halb nass frierend, dein Essen umklammernd, nach einem freien Sitzplatz spähend im Raum. Du bist nicht schnell genug. Die Beine sind jetzt holzige Stelzen, die jeden Schritt mit einem Halbkreis zur Seite beginnen. Du bist in Gedanken versunken und willst nur noch Heim! Irgendwer hält eine Ansprache zur morgigen Etappe! Du denkst nur noch an verregnete nasse 600 Meter bis zum Camp unten im Tal.
Dani und ich haben davon nur erzählt bekommen, was ein Glück! Wir trinken unser Bier leer. Verabschieden uns von der Bedienung und den beiden anderen Teams. Wohl genährt und leicht beschwipst geht’s wieder, Kurzstrecke, auf die andere Straßenseite.
Kaum zurück, dürfen wir unsere neueredefreudigen, enthusiastischeCampnachbarnkennenlernen, die frisch vom Briefing kamen. An dieser Stelle „Hallo Team Neandertaler“! Ja diese beiden waren noch fit, superfit. Die frohe Botschaft, die sie mit brachten von 40cm Neuschnee auf der morgendlichen Etappe löst prompt mentalen Gefrierbrand und Schüttelfrost aus! Was? Massig Neuschnee zu einer 43 km – Etappe?! Nein – wir haben unsere Steigeisen und Taschenwärmer leider zu Hause gelassen!
Wir stehen am Ende dieses Tages am Abgrund – nur noch ein Schritt fehlt! Aber … es wird von einer Alternativroute gemunkelt!
Pünktlich um 22 Uhr geht das Licht für die Nacht endlich aus. Kurz darauf wieder an und wieder aus. Ich starre an die Decke und beobachte den 20 minütigen Wechsel von hell und dunkel, der durch einen Bewegungsmelder ausgelöst wird! Unbarmherzig strahlen mich 12 Watt Kaltlicht direkt an. Es hat sich mehr wie ein 200 Watt-Strahler angefühlt, der 30 Zentimeter direkt vor meinem Gesicht baumelt. Zum Glück habe ich diesmal die Ohrstöpsel. Sie lassen nur noch dumpfe Umgebungsgeräusche zu und das Rauschen des Pulses dominiert die Ruhe. Um mich herum schläft alles! Ich bin wach, und mich beschäftigt folgende weltfremde Frage:Ist es moralisch vertretbar inmitten all der Leute zu Furzen?
Wohl eher eine philosophische Auslegungssache! Im Läuferknigge steht nix darüber. Somit liegt es in meiner Entscheidung den (Duft)Luftstrom zu lenken. Direkt in den Schlafsack, zum linken oder rechten Nachbarn oder doch eher neutral nach oben? Leise wäre super! Zählt lautes Furzen im Camp schon zu unsportlichem Verhalten, das mit Zeitstrafe belegt werden kann? Aufstehen ist keine Option. Irgendwann dämmere ich weg und beginne ein wenig mit Regeneration. Ich glaube diese eine Frage hat sich wohl später im Schlaf von selbst beantwortet

Tag 3 – Auf nach Prettau!!

Mittlerweile sind wir zu routinierten Frühaufstehern geworden und im Alltag des gemeinen TAR-Läufers angekommen. Alle Handgriffe laufen automatisch. In der Transporttasche ist ein komplett neues Ordnungssystem entstanden. Nur der Eingeweihte weiß, wo was hingehört, so dass die Tasche auch noch verschließbar ist. Wenn auch manchmal mit Nachdruck. Wir gehen, ich hinke, zum Frühstück, mit der pragmatischen Hoffnung an diesem Tag nicht unbedingt auf 2800m hoch und ins Schneetreiben zu müssen. Schon am Eingang dringt die Mitteilung durch: Alternativroute!
Der Tag kann kommen. Das Jubelbarometer schießt mit einem mal auf hundert mal hundert Prozent.
Gut gelaunt fassen wir das Frühstücksbuffet wieder ins Auge! Der Hunger ist wieder da, der Schmerz schlagartig verflogen und die Startzeit verschiebt sich sogar auch um eine Stundenach hinten.
Noch eine Mütze Schlaf – 10 Minuten Instanturlaub, wir kommen!
Gelöste Stimmung beim Start. Keine Cut-Off-Zeiten und eine kleinere Runde. Runde? Ja genau, wir laufen zur Abwechslung mal im Kreis! Wir haben etwas Gnadenfrist mit Schonzeit gewonnen.
„Highway to Hell!“ ist diesmal Zucker in unseren Ohren. Der Wandertag im lockeren Laufschritt in das bergige Umland von Neukirchen ist eröffnet!
Der erste Wechsel vom breiten Asphaltweg auf den ersten Trail sorgt für ungewollten Stau. Eine Traube an Läufern tröpfelt einen kleinen schmalen Weg nach oben in den Wald. Unter regulären Umständen hätte so ein Stau für Unmut mit Blick auf die Zeiten gesorgt. Überbrückt wird das Warten durch kurzweilige Unterhaltung. Ein heiterer Gesang aus Liedanfängen, die mehr in ein Festzelt gepasst hätten, wird angestimmt und ab dem Verlust der Textsicherheit mitgeträllert. Zwischenrufe von unten stehenden und oben laufenden wechseln und schließen mit einem Lachen aller Mithörer ab. Langsam, ohne größere Anstrengungen, durchlaufen wir mit all den anderen TARanern einen nie endenden naturbelassenen Wald, der mit kleinen Bächen und Wasserfällen durchzogen ist. Mal laufen wir in ein kleines Tal, danach gleich wieder einen bewaldeten Hügel hoch.
Zwischendurch gibt es noch den ein oder anderen kleiner Smalltalk! Das Läuferfeld ist trotz der schmalen Wege noch eine ungewöhnlich lange Zeit dicht zusammen.Erst mit einem Schlenker durch ein nah gelegenes Dorf, zieht sich das Feld auseinander.
Wir klinken uns für einen Blasen-Pitstop kurz aus. Geradeso mit geplatzten Reifen in die Boxengasse, in diesem Fall eine Bank. Ich ziehe Socken und Schuhe aus um das Fiasko zu begutachten. Dani dokumentiert filmisch, für spätere Generationen meine Füße. Besser gesagt die kleine Zehe schaute mich Fleischrot an. Der Übeltäter quälte mich schon eine Weile.
Im Outdoor-Medipack finde ich neben einer ausgiebigen Brandwundversorgung (Hier hat sich wirklich einer richtig Gedanken gemacht – Grillunfallprävention!) einem Fieberthermometer und einem Frischetuch, das Pflaster mit Tigerentenmotiv. Genau das richtige!!!
Schnell über den kleinen Nerventot geklebt, Schuhe an und die Lok fährt wieder. Unaufhaltsam nehmen wir wieder Fahrt auf um auch gleich nach der nächsten Kurve im Wald zu verschwinden.
Die Verpflegungsstation am Rand lädt mit Kuchen und Tee noch einmal zu einer längeren Verweildauer ein. Nett und freundlich reicht uns das Verpflegungsteam Speisen und Getränke, obwohl mittlerweile wieder Stunden vergangen sind. Auch eine Art von Ausdauer.
Ich vermute mal, dass die Partygetränke auch nicht so weit weg stehen. Nur nicht in Sichtweite der Läufer. Die Medical-Crew scherzt auf ihre lockere Art vor sich hin, und schickt, sofern es nur gekühlt oder bandagiert werden muss, die sporadisch anfallenden Halbverletzten wieder ins Rennen.
Das letzte Stück, wir befinden uns sozusagen am Wendepunkt der Strecke, absolvieren wir mit dem „fliegenden Röcke“-Team. Nochmals durch den Bergwald. Die unbefestigten Wege, sind durch die Läufer vor uns schon so stark ausgetreten, dass es ziemlich einfach ist den richtigen Schritt bergauf zu finden. Jede Spur auf diesem schlammigen Weg hätte eine Geschichte erzählen können.
Viele kleine Löcher, verursacht von Trailstöcken im Boden, zeichnen die Ideallinie des Weges. Links und rechts davon sind Spuren der Dramatik zu erkennen. Langgezogene und verschmierte Schuhprofile, deren Grip versagt hatte, lassen erahnen, was einige Zeit vorher im Mittelfeld an dieser Stelle los gewesen ist.
Davon haben wir jedoch nichts mitbekommen. Wir sind weit und breit für den Moment, allein im Wald!

Übermütig ziehen wir das Tempo etwas an. Die Luft ist kühl und frisch. Und wir kommen voran ohne uns zu quälen. Es macht richtig Spaß!

 

Ich überspringe den schrittbreiten Wasserlauf eines Wasserfalls und breche schon fast in Jubel aus. Keine nassen Schuhe! Meine Freude ist nur von kurzer Dauer. Ich dreh mich um und sehe Heidi vom „Fliegenden Röcke“-Team in den Fluten versinken. Das Wasser hört schließlich nicht auf zu fließen, wenn du Stop sagst. Es drückt und schiebt und kriecht!
Die Heidi stand nicht nur mit den Füßen im Wasser, sondern saß inmitten eines kleinen Stroms. Einer Ihrer Stöcke bewegte sich, Kraft des Wassers, Richtung Abhang- Heidi auch fast. Beherzt springen der Dani und die Susanne der Heidi bei. Ziehen sie aus dem reißenden Rinnsal.
Sie nimmt es mit einem gelassenen Lachen! Wir laufen weiter. Ich lerne etwas über Schuhe, die auch gern mal das Wasser wirklich drin behalten, richtig dicht sind! Ich frage nicht nach der Marke!
Die Gegend wirkt wieder vertraut. Es kann nicht mehr weit sein. Mit etwas Anlauf und ein wenig Schwung laufe ich einer der letzten Steige hoch. Dani kommt mit einem fetten Grinsen um die Ecke! Das entsprach in etwa seiner Vorstellung vom TAR. Anstrengender Spaß!
Das Ziel ist in greifbare Nähe gerückt und wir geben nochmal Gas. Ein kurzer Feldweg, die Straße, die Kirche und „flat is boring““-Werbefähnchen! Gleich da! Wir positionieren uns vor dem Zielbogen um die Fliegenden Röcke für den Endspurt auf digitales Zelluloid zu bannen. Feuern sie die letzten Meter nochmal an. Gemeinsam überschreiten wir das Ziel. Der Kreis ist rund und Etappe 3 geschafft!
Fast! Wir sind schließlich immer noch in Neukirchen.
Bis nach Prettau sind es nur 41 km. Mit dem Bus über den Berg … das wärs nun! Aber der macht leider nicht den Eindruck, dermaßen geländegängig zu sein, um den direkten Weg über den „TAR-Pass“, mit Geröllfeld, Steilhängen und Schneegestöber zu nehmen.
Die Zeichen stehen auf einer großzügigen Umfahrung des Berges. Aus 41 km sind mal eben 240km und eine 3-Stundenfahrt geworden.
Hektisch läuft der Campminister zwischen dem letzten Bus und der Schule hin und her. Er sammelt die letzten versprengten Läufer ein, drängt sie in den Bus, so dass auch wirklich niemand zurückbleibt.
Der Tag war erfolgreich. Wir können fahren.
Diesmal sind wir vorbereitet! Wechselsachen, etwas zu Naschen und ein paar Getränke versüßen uns die Fahrt. Als Krönung pack ich noch die fetten Kopfhörer aus. Die, die das Ohr komplett umschließen.
Mit Heino im Ohr, die Füße auf Erholung geschwenkt fahren wir Richtung Prettau und besserem Wetter entgegen. Hinter uns verwandeln dicke Regenwolken die Berge in ein unpassierbares Schlechtwettergebiet. Vor uns erhaschen wir die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Das erste Mal seit Tagen! Kurz eröffnet sich ein regenfreies atemberaubendes Alpenpanorama in tiefem rot, bevor die Abenddämmerung einsetzt. Die Aussichten werden besser, obwohl es draußen dunkel wird!

Prettau? Nie wieder Prettau!

In Prettau ist es schon tiefste Nacht als wir ankommen! Und es ist wirklich saukalt! So kalt, dass der Atem kleine Wolken bildet und sich in Sekundenschnelle als Tau auf der Kleidung sammelt.
Hastig strömen die Läufer aus dem Bus. Es muss wieder schnell gehen. Ich habe etwas Gemütlichkeit gebunkert und fließe mit der Masse mit – nur langsamer. Mir kommen schon die Ersten vom Camp entgegen.
Ich hätte nicht fragen sollen! Die Antwort auf meine Frage, die ich hätte nicht stellen sollen war: Geh da nicht hoch es ist schrecklich! So ist das Camp – Die Überraschung am Ende des Tages ist dir sicher!
Mich treibt es daher erst einmal zum Essen. Der Schrecken kann vorerst warten.
Prettau ist, wie für mich gemacht. Essen und Schlafen 20 Meter auseinander. Kurze Wege.
Der Ort ist so klein, dass extra ein Zelt für alle Läufer aufgebaut wurde, in dem Pastaparty und Briefing stattfinden. Es hat auch platzmäßig ganz genau zwischen Kulturhaus und Schule gepasst. Als ob die Gemeindeplanung in Zusammenarbeit mit dem Dorfastrologen vor 500 Jahren auf den TAR hingearbeitet hätte. TAR statt Hexenverbrennung! Im Übrigen hatten wir mit über 600 Läufern plus Anhang und Organisation den Ort mit seinen 585 Einwohnern regelrecht überrannt.
Ich stehe geduldig im gut gefüllten Zelt, mit einem Tablett bewaffnet, in der Schlange zum Essen fassen. Als Zonenkind, im Osten aufgewachsen, kennst du das schon.
In die Schlange stellen, warten, warten und wenn du dran bist ist, gibt’s nichts mehr. Außer du hast Beziehungen. Ein Hauch (N)Ostalgie verkürzt die Wartezeit.
Nudelpasta auf Plastiktellern, eine Suppe, Obstsalat. Meine Gourmet-Tagesration präsentiert sich sternemäßig – nahrhaft!
Ich sehe Dani in der Schlange. Momente später sitzt er bei mir, ohne Suppe und Salat. Er hatte wohl keine Beziehungen, dafür aber einen Mordshunger. Er war schon beim Camp, den Schrecken, den ich noch nicht gesehen habe, er hat nichts zu Essen – die Stimmung kippt. Er isst, flucht und isst wieder. Ich opfere meine Suppe um den Zorn des Teampartners zu besänftigen. 
Nach dem Video und Bildern des Tages geht’s endlich ins Camp. Es ist diesmal in A, B und C aufgeteilt.
Wir sind im A-Camp, direkt neben dem Zelt. Das A steht nicht für die Güte der Unterbringung, obwohl es das Kulturhaus ist! Genauer, die Bühne des Kulturhauses.
Ich weiß nicht was mich erwartet. Schon in einem Vorraum mit Bierausschank ist jeder Quadratmeter belegt. Ich betrete den dörflichen Kultursaal – Die Bühne!
Mir bietet sich ein Bild des Schreckens – sooo schrecklich voll! Ich muss kurz innehalten!
Unsere Taschen stehen zentral, präsentiertellermäßig genau in der Mitte der Bühne. Umgeben von unzähligen Matten und Taschen. Bis zum Rand der Saals. Über sämtlichen Kannten und Stühlen trocknen T-Shirts, Hosen und Jacken. Nach dem kurzen Schock übermannt mich das Gefühl der Gemütlichkeit. Eine erzwungene Gemütlichkeit, aber immerhin. Pinguine in der Mitte der Gruppe können schließlich auch nicht erfrieren. Mit Zeltstangengeklapper baue ich in meiner kleinen Manege, meine „Therm-a-rest“ Luxusliege auf. Winke nochmal in die staunende Menge und beende mein Werk mit dem Gedanken: Ja ich werde diese Nacht sehr gut schlafen.
Kurz vor Licht aus treibt es mich doch noch einmal zur Medi-Crew!
Untergebracht in der örtlichen Feuerwache, direkt neben dem Kulturhaus. Wo sonst – kleiner Ort, kurze Wege! Becher mit Nicht-Nicht-alkoholischen Getränken machen die Runde. Ein typischer Feierabend im Medi-Bereich! Meine Füße avancieren zu einer kleinen Marktattraktion. Es wird geflunkert und gelacht, jeder will mal schauen. Nebenbei werden Becher um Becher geleert. Zu guter letzt verlasse ich gut besohlt für den nächsten Tag die Feuerwache.
Im Camp herrscht Dominozeit. Die meisten liegen schon oder legen sich gleich hin. Ich sehe jemanden am Lichtschalter! Das Licht ist aus! Oh Wunder – Das Licht ist wieder an! Die Zeit war doch noch nicht reif und es hat sich einer erdreistet es wieder einzuschalten. Die alte Ordnung bröckelt – Anarchie!
Nach 10 Minuten ist der Spaß vorbei – mit einem energischen „Klick“ wurde die Nachtruhe eingeläutet.
Der „Schwede“ liegt eine Matte vor mir und sägt mit unglaublicher Resonanz ganze Wälder nieder. Es wird gewälzt und geraschelt… Es riecht nach nassen Schuhen und Schweiß. Der Dani schläft auch schon längst.
So dicht an dicht, regelrecht beengend inmitten all der Läufer entschwinde ich ins Schlummerland. Trotz all dieser oberflächlichen Unannehmlichkeiten und Härten – Das Camp wird mit jedem weiteren Tag mehr als nur zu einer einfachen Übernachtung zwischen den Etappen.

Tag 4 – Auf nach Sand in Taufers!!

Guten Morgen!! Die Stimmung nähert sich dem Gefrierpunkt. Es ist Vier Grad über Null – Schwitzen fällt heute aus! Wir sind bei unserer 4. Etappe und begrüßen uns mit einem fröhlichen „Fick Dich!“ und lachen. Typischer TAR-Humor! „Beni von Rock´n Trail“ ist mit seiner erfrischenden Art und mit einem Schwall an aufmunternden Kommentaren immer ganz vorn dabei.
Läppische 32 Kilometer. Von überall her strömen Läufer zum Start. Prettau entlässt Fünfzig Prozent seiner Übergangseinwohner wieder in die freie Wildbahn. Wir schauen nicht zurück. Denken nicht mehr an steinernes Aufstehen, Frühstück im Festzelt und die nebulöse Nacht.
Es ist die Flucht nach vorn und wir sind noch dabei. Heute ist der höchste Punkt den wir überwinden müssen – danach ist Bergsprint. Wir müssen unbedingt diesen Tag durchhalten. Alles Weitere ist erstmal egal.
Schon erstaunlich, wie stark all die vielen wichtigen Alltagsdinge in den Hintergrund rücken – Platz machen für das wesentliche.
Viele treten noch kurz auf der Stelle und freuen sich über jedes Gesicht, was wieder mit im Startblock steht. Wir sind weniger geworden. „Highway to Hell!“ – das tägliche Ritual katapultiert die Läufer auf die Strecke. Beklatscht, bejubelt und beweint vom Publikum, das noch 200 Meter dicht gedrängt die Straße säumt. Danach wird es ruhiger und wir entschwinden auf den Trails.

 

Wir sehen unser Etappenziel noch nicht, wir erahnen es nur. Es ist immer noch sehr frisch und es wird nicht wärmer, obwohl mittlerweile Frühstückspause ist. Ein Handvoll Zerealien werden an der ersten „V“(Verpflegungsstation) verspeist. Energie für den Berg, der immer noch verdeckt irgendwo am Horizont zwischen Wäldern und hinter einem Tal lauert.

 

Mit Ende der Baumgrenze, taucht er auf und es beginnt unser langsamer Anlauf auf den Berg.
Wir bewegen uns in einem feuchtkalten Tal auf ihn zu. Links und rechts sind begrünte Hügel, nicht weniger hoch, die uns zwingen den einen Weg einzuschlagen. Wir laufen noch im Schutz des Weges, der noch ein wenig Windschatten bietet, aber auch das endet. Der Wind wird mit jedem Schritt ungemütlicher und mit ihm kommt Schnee. So unglaublich viel Schnee.
Noch geht es zügig vorwärts. Wir erkennen aber schon kleine Farbtupfer im Berg, die sich auf engen Bergpfaden wesentlich langsamer nach oben schieben. Aus der Ferne sieht es kühler als normal aus.
Das Grün ist nicht mehr zu sehen und wird zwischen dem vielen Grau der Steine vom Weiß abgelöst. Schnee! Ich kann es riechen. Beißend kalt zieht der markante Geruch von Winter in meine Nase.
Schlagartig sickern Erinnerungen von nassen Schuhen und kalten Händen in meinen Geist.
Der breite Kiesweg endet und wir dürfen uns unseren Weg bis zum direkten Aufstieg selber wählen. Wir haben die letzten Tage dazu gelernt. Der einfachste Weg ist der, den alle gehen. Lemminge halten das auch so. Wer weiß was uns oben am Berggrat erwartet. Eine Klippe aus Schnee und Eis? Vielleicht.
Verrückte Leute? Verrückter Lauf!
Wir sind immer noch nicht auf dem steilen Stück des Berges. Lediglich das Grün hat aufgehört. Wir laufen im Geröllfeld. Steigen und Laufen lösen sich ab. Schneeflocken tänzeln, mit wechselnden Windrichtungen, mittlerweile um uns herum. Der Dani hat seine Sturmmaske aufgezogen und grinst vor sich hin. Es wird steiler, es wird kälter, es wird anstrengender – Danis ökologische Wohlfühlnische. Er ist auf Temperatur und frotzelt vor sich hin während meine in den Keller rauscht – freier Fall!
Ich nehme noch schnell einen Zug aus der Flasche bevor wir voll in den Berg einsteigen.
Ein schmaler, steiler sich windender Weg. Unter unseren Füßen fängt es an zu rutschen. Wir laufen auf Schnee!
Wir merken jetzt verschärfter, wie der Wind den Berg hoch peitscht. Wir versuchen konstant und schnell voranzukommen. Vor uns wird geflucht, dass es kälter als erwartet ist. Ein Mann treibt seine Begleiterin an nicht stehen zu bleiben. Sie weint vor Kälte, bleibt nicht stehen und steigt unter Schmerzen weiter hoch.
Auf halber Höhe blicken wir zurück und sehen das Tal, aus dem wir hergekommen sind. Wir sind jetzt die kleinen Farbtupfer im Berg und ganz weit unten sehen wir immer noch Läufer im Geröllfeld.
Dani ist in seinem Element und treibt sich selbst und die Teams in unserm Umfeld mit lauten Anfeuerungsrufen zur Höchstleistung an!
 Singen da Leute auf dem Grat? Tatsächlich hören wir vom oberen Rand Singsang. Auch die kleinen Erfolge müssen gefeiert werden. Es macht Hoffnung auf das Ende dieses Aufstiegs.
Wir bewegen uns in einer sehr bizarren Stimmungslandschaft. Aus allem herausgelöst. Am Ende der Welt. Die Sonne scheint nur diffus, schemenhaft durch die Wolken. Es könnte die Welt untergegangen sein. Wir hätten’s heut einfach verpasst. So sehr sind wir mit uns selbst beschäftigt.
Almglocken holen uns kurz vorm Ende wieder zurück ins Leben. Ein paar Meter trennen uns von der anderen Seite.
Geschafft – die Freude lässt sich nicht verbergen. Wir sind oben! Dani und Ich stehen ungläubig am Kreuz der Bretterscharte. Kapuze und Sturmhaube tief ins Gesicht gezogen.
Der Wind schiebt uns fast über den Grat. Die Klamotten flattern wie Wäsche … im Sturm. Wir schreien uns aus drei Metern Entfernung an und verstehen trotzdem kein Wort, was der andere sagt. Egal! SCHEISS EGAL!!! Man, sind wir glücklich!
Links ist die kalte Seite, von der wir gekommen sind. Wind, Schnee, Kälte und ein diesiger Tag waren unsere Begleiter. Und auf der rechten Seite? Sonnenschein, grün und windstill! Ein krasser Gegensatz innerhalb von nur wenigen Metern.
Was darf nicht fehlen? Pom-Poms und Almenglocken begrüßen die GipfelstürmerDas TAR-Unterhaltungsteam schlägt wieder zu, was für geile Jungs. Es ist wirklich sehr skurril sich den Berg hoch zu kämpfen um mit ausgelassener, bespaßender Heiterkeit begrüßt zu werden.
Jetzt geht’s erstmal eine ganze Weile auf der Sonnenseite bergab. Wir freuen uns und legen los, ziehen das Tempo an!
Hinter uns dröhnt minimalistisch, basslastige Musik heran. Pom-Pom-Zwischenläufer rasen den Weg herab. Ein teuflischer Plan nimmt in meinem Kopf Gestalt an. Ein guter Moment Zeit gut zu machen.
Wir rennen hinterher! Wir treten dahin wo sie hintreten. Sie machen mit dem Getöse aus Musik und Almglocken den Zwei Fuß breiten Weg frei. Oh, die Freude ist groß – wir kommen voran.
Aber irgendwann müssen wir nachgeben und lassen unsere Zugpferde ziehen.
Mit Sichtung der nächsten Ortschaft, legen wir nochmal einen Spurt hin. Bei der Kirche gibt’s wieder Fresschen.
Wir sind eine Stunde vor Cut-Off bei V2. Und wen treffen wir – Beni und Carsten! Die Jungs von Rock´n Trail. Eigentlich sind die i.d.R. weit vor uns! Wir sind schließlich die Newbies, die Neulinge im Langstreckendauerberglauf.
Wir sind erstaunt, freuen uns aber trotzdem. Sind doch besser als gedacht!
Wir starten zur Zweiten schönen Quälerei des Tages. Wir entfernen uns aus dem kleinen Ort Richtung Ziel. Tschüss kleiner Ort unten im Tal – Hallo „Weg-der-nach-Oben-führt“.
Mittlerweile habe ich ein wenig gelernt die Nuancen der Anstiege einzuschätzen. Es gibt kein schwarz oder weiß, machbar oder unmöglich. Eine Facette aus Grautönen bestimmt meine Geschwindigkeit.
In diesem Fall nähere ich mich einem dunklen Grau, das bezeichnend für sehr langsam steht. Eigentlich ist es noch langsamer als hoch zur Bretterscharte.
Dani macht sich einen kleinen Spaß, „spaziert“ voraus und wartet an den Wegenden. Was bei Ihm kraftvolle, ästhetisch beschwingte Bewegungen sind, stellen bei mir mechanisch, abgehackte kurze Schritte dar. Ich stoppe kurz, schau wer mir folgt, schaue nach oben und hoffe, dass der Horizont wieder sichtbar wird.
Oben gönne ich mir die verdiente Pause, obwohl ich das Dorf noch sehen kann. Weit sind wir nicht unbedingt gekommen. Nur hoch! Der Blick auf die Uhr sagt, dass wir in der Zeit sind. Aber wenn wir uns weiter so langsam fortbewegen könnte es doch noch knapp werden.
Irgendwann sind wir an dem Punkt, an dem wir merken, dass es ein höher nicht mehr gibt. Wir laufen auf einem moorastigen Plateau wieder Richtung Bergrand. Die Wege werden schmaler. Und als wir wieder bergab unterwegs sind, müssen wir zwischen riesigen Felsbrocken umherklettern.
Sie sehen aus wie riesige graue Steinkristalle. Manche scheinen einfach aus dem Boden zu wachsen, andere liegen als geometrisch, exakte Körper zwischen Geröll. Wir suchen wiedermal die Ideallinie.
Und zwischen all der Kletterei und den Zwischenspurten hören wir Musik.
Wir hören Blasmusik!
Es passt wiedermal nichts zusammen. Wir sind 2200m über Null. Nirgends eine Straße oder eine Wirtschaft. Ich fühle mich veralbert. Ich quäle mich über den Berg und irgendwo da hinten spielt eine ganze Blaskapelle? Gibt’s wiedermal einen einfachen Weg, den wir natürlich nicht nehmen? Nicht finden?!
Ich will‘s jetzt wissen und laufe auf das Ton-Ensemble zu. Du glaubst es nur wenn Du es wirklich siehst. Und tatsächlich! Mitten im Nirgendwo, in einer natürlich, aus Steinen geformten Lichtung spielt ein kleines Orchester. Einfach so!
Innerlich brennt sich schnell die Notiz Blaskapelle? … Berg?? … „Ist-nicht-Wahr!!“ ein. Dann laufen wir weiter. An einer kleinen Almhütte mit Bank, Wasserspiel und Aussicht lassen wir’s uns nochmal gut gehen. Ein Tag zum Genießen. Dani zaubert ein paar Gummibären auf den Tisch. Nochmal die Beine baumeln lassen. Sich in der Sonne strecken. Die Zeit steht für den Moment still. Fast wie Urlaub.
Nachdem die eine oder andere Startnummer an uns vorbei ist, raffen wir uns wieder auf.
Die Felsen sind wesentlich kleiner geworden und werden von waldigen Trails abgelöst.
Es ist steil und anspruchsvoll!
So steil das die Geschwindigkeit einbricht.
Wir wollen, können aber nicht. Die unsichtbare Wand der übertriebenen Vorsicht hält uns ab schneller zu sein.
Danis Stimmung sinkt – wir sind einfach zu langsam und die Wege kosten selbst bergab viel Zeit.
Und was passiert in der größten Not! Zufällig kommt das 2-Mann-TAR-Unterhaltungsteamvorbeigelaufen. Dubstep-Musik, Almglocken! Wir versuchen noch etwas zu lernen und bleiben an denen dran. Meine Stöcke halte ich nur noch in der Hand, benutze sie nicht, und folge konzentriert den Schritten des Vordermanns.
Immer schön bei der Musik bleiben. Wir fliegen den Berg regelrecht runter. Große Schritte, um die Kurven dribbeln und immer auf der Suche nach dem optimalen Tritt für den nächsten Schritt.
Wie Halbwilde springen wir aus einem Waldweg auf eine Bergstraße. Ab jetzt heißt es wieder aufrecht laufen – wir erreichen in den nächsten Minuten wieder eine Zwischenstation. Spätestens hier müssen wir uns wieder artikulieren können. Was für ein Spaß!
Kleine bunte Fahnen kündigen schon von weitem die „V“ an. Die letzte Verpflegungsstation ist immer die beste – die Jungs kennen uns schon, freuen sich mit uns! Also, wo sind wir? Wie weit ist es noch? Was sagt die Zeit?
Während wir uns mit Cola, Kuchen, Nüssen und Früchten vollstopfen erfahren wir mal so nebenbei, dass wir 2 Minuten am Cut-Off vorbei geschrammt sind.
Ich hab davon nichts gewusst und der Dani erzählt mir ganz entgeistert, dass wir um Haaresbreite rausgeflogen wären. Da bleibt einem die Melone im Halse stecken. Diese Information erschüttert uns zutiefst!
An diesem Tag hat die Orga die Cut-Off-Zeit für die V3 zwar verlängert, aber es hat uns eins klar gemacht:
„Die „V“s haben teils harte Cut-Offs“ auch die Letzte!! Egal ob wir rechtzeitig ins Ziel gekommen wären.
Hinter uns waren noch so viele Teams, doch unser Protest bleibt ungehört. Heute verliert der TAR viele gute Teams. Gut im Sinne von hilfsbereit statt leistungsorientiert, fröhlich statt verbissen und losgelöst statt auf eine Platzierung fixiert.
Wir haben jetzt wieder etwas Zeit und könnten gechillt ins Ziel traben. Relaxt auslaufen.
Wäre auch etwas besser für den Dani. Die Sehne im Sprunggelenk schmerzt und bereitet ihm Probleme.
Da hilft nur eins. Unsere Geheimwaffe gegen Schmerzen und miese Stimmung. Wir schmeißen die Jukebox an. Jeder von uns beiden hat sich das bis zuletzt aufgehoben. Mit Knopf im Ohr und etwas auf den eigenen Geschmack abgestimmte Musik gehts Richtung Tal, zum Ziel – nach Sand in Taufers.
Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte – wohl ähnlich aufgewühlt. Du redest dir zwar ein, dass es nur ein Wettkampf ist, aber du bist jeden Tag getrieben. Wer zu langsam ist wird gefressen.
Auf dem Weg zum Camp, irgendwo am Ortsausgang, diskutieren wir.
Diesmal war einfach zu nah an der Deadline gewesen. Und es sind nur noch 3 Tage Lauf. Den Bergsprint mal nicht mitgezählt. Je näher wir dem letzten Tag kommen umso tiefer wäre der Fall bei Abbruch des Rennens. Wir haben einen Tag, uns eine passende Laufstrategie zurecht zu legen, die die Zwischenzeiten mit einbezieht.
Am Ende denken wir nicht weiter drüber nach und kehren ins Camp ein. Unsere Gedanken, noch immer bei den „fliegenden Röcken“

5 Sterne Camp in Taufers!

Im Camp ist die Dekadenz ausgebrochen. Wir haben Platz ohne Ende. Einquartiert in einer riesigen Tennishalle beziehen wir den zweiten Quadranten. Wir haben noch etwas Fläche für einen kleinen Vorgarten mit Willkommensmatte übrig. Gegenüber befindet sich ein Hallenbad. Das Massageteam ist auch nicht weit. Es hat sich im Aufwärmbereich der Halle positioniert. Auf der anderen Seite des Netzes sehen wir die Schokotante-Eva und das Mützenmädchenteam. Du könntest auch mal die Namen auf den Startnummern lesen. Aber wer macht das schon. Neue Namen sind auch was schönes!

Wir sind gefangen in einer Entspannungsenklave. Einem kleinen Ort der Glückseeligkeit.
Alles läuft wesentlich relaxter. Der Catwalk für ramponierte Füße ist, bedingt durch einen langen Weg zur Dusche wieder eröffnet. Mit einem Lächeln und einem Handtuch in der Hand werden 15 m in exotischen Laufstilen gemeistert. Versengänger, einbeinige Abknicker, Vorderfußhüpfer und Zeitlupenschlurfer wechseln sich in regelmäßigen Abständen ab, stöhnen aber doch einheitlich wie eine Zombiehorde. Eine Jury am Ende würde das ganze abrunden.
Die warme Dusche ruft! Und ich reihe mich mit dem einfachen Entengang in die Gruppe der Bewegungsgestörten ein.
Die Duschinstallation ist es wahrhaftig Wert, erwähnt zu werden. Du kennst das: Warm, ist unten, links rüber, den Hebel ziehen. Kalt, ist rechts rüber und ziehen.
In diesem speziellen Fall ist warm, rechts oben und drücken statt ziehen!
In voller Konsequenz wurden sämtliche Duscharmaturen entsprechend installiert. Wenn schon speziell, dann aber richtig. Willkommen in Italien!
Nun, die Zeit drängt – wir müssen noch in die StadtBeni hat uns eingeladen in einer Pizzeria mit seiner Familie zusammen zu Essen. Sie machen Urlaub in der Umgebung, begleiten und unterstützen den Sohnemann beim Lauf. Seine Brüder wollen im nächsten Jahr ebenfalls mitmachen. Der Joshi – Bruder Nummer Zwei holt uns ab. Hier ein kurzes Dankeschön an diese liebenswerte Familie die uns für 8 lange Tage als Ziehsöhne adoptiert hatte!
In „Sand“, zwischen Parkplatz und Pizzeria kommt uns J.D. entgegen. Ohne sein typisches Amerika-Outfit hätte ich Ihn kaum erkannt. Es ist immer schön, wenn man sich sieht, auch wenn es nur 3 Stunden her ist. Ein fröhlicher Begrüßungsreigen macht die Runde. Diese Begegnung wird sich schicksalhaft auf die nächsten 3 Tage auswirken. Ich habe mich, zwecks Regeneration, für eine luftige Schuhkultur entschieden. Gelbe Badelatschen – Quietschegelb! J.D. stellt sehr spontan die Verknüpfung Gelb, Bananen – Bananashoes her. Die Verabschiedung geht so schnell, wie die Begrüßung. Mit einem Unterschied. Die Würfel sind gefallen. Der Bananenschuh hat sich in wenigen Augenblicken etabliert, der Spitzname sitzt!
Zu Acht kehren wir in eine örtliche Pizzeria ein. Neben riesigen Pizzen werden Anekdoten aus dem Leben der Familie erzählt. Und bei 4 Brüdern gibt’s eine Menge unterhaltsamen Stoff.
Die Mutter nimmt’s, obwohl es schwer fällt, gelassen. Eine sehr lustige Truppe, wir ziehen unseren Hut!
Danach geht’s noch zum Briefing. Die Bilder des Tages anschauen. Die Platzierung begutachten.
Wir sind wieder auf einem der letzten Plätze der Männerwertung, mit dem Unterschied, dass die Liste wesentlich kürzer geworden ist. Heute sind wieder viele raus. Jetzt sehen wir es nochmal schwarz auf weiß. Es ist beängstigend!
Das einzige was hier noch hilft ist – eine Massage! Die Knubbel und Anspannungen wegdrücken, das Fleisch wieder weichklopfen lassen. Zurück im Camp mach ich noch schnell einen Termin klar.
Als Bestätigung bekomme ich eine Banane mit meinem Namen drauf – eine Bananenquittung.
Zettel sind so was von out! Beim Aufruf meines Namens identifiziere ich mich mit dem Vorzeigen meiner personalisierten Banane und lass mich nochmal 20 Minuten durchkneten. Was ein verrückter Haufen.
Der Dani liest währenddessen ein Buch und bereitet sich auf die Nacht vor, jeder für sich, ein wenig Abstand musss auch mal sein
Aber mir lässt das knappe Cut-Off des heutigen Tages keine Ruhe. In der Zeit, wo die Camper anfangen zu schlafen schaue ich mir unsere Zeiten und Zwischenzeiten nochmal an. Excel, ein wahrer Freund in der Not entlarvt unsere Schwachstellen und offenbart in der Ruhe der Nacht die Möglichkeiten, die wir nutzen können. Ich kalkuliere knapp am Limit, das wir niemals nicht unterschreiten dürfen. Sind wir besser laufen wir ins Plus. Ich hab’s in kleinen Tabellen vor mir. Es sollte funktionieren. Die großen roten Ziffern der Uhr in der Tennishalle zeigen 23.55 Uhr. Es wird Zeit.
Meine Traumwelt besteht diese Nacht nur aus Zahlen, Zeiten und Cut-Offs. Unterbrochen vom monotonen Schnarchrhythmus eines meiner Campnachbarn.
Bin zuversichtlich, dass wir alles schaffen können. Ich bin zufrieden und freue mich auf die nächsten Tage und morgen, da starten wir im Block A. Die letzten starten als Erste. Alle Augen auf die Nice Boys Finish Last!!

Tag 6 – Ich hör dir Glocke läuten – St. Vigil

6 Uhr morgens piepsen und fiepen unzählige kleine Uhren und Wecker los. Kennen wir schon. Relaxt wandert der Blick rüber zur großen Uhr. Aha – doch noch nicht 6. Fünf Minuten die Decke anstarren, während ringsherum müde Körper aus ihren Schlafsäcken erheben.

Es wird gestöhnt und geschlurft. Noch eine Stunde früher, etwas mehr Nebel und wir ständen in einer wunderbaren Zombiszenerie – wie Zeitgemäß.
TAR-Zombis sind aber wesentlich harmloser. Sie verfolgen nur ein Ziel – irgendwie doch wieder an den Start kommen. Außnahmen gibt es leider auch. Wie auf Kommando springt der ein oder andere aus seinem unverschlossenen Schlafsack, ready to rumble! Eichhörnchen gleich sammelt der „Ambitionierte“ seine Sachen zusammen und packt sie, in schummrigen Stirnlampenlicht, akkurat in seine Tasche um im nächsten Moment zum Frühstück zu huschen.
Ich bin heute weder Eichhörnchen noch Ambitioniert – starre nochmal 5 Minuten die Decke der Tennishalle an. Dani meldet sich mit einem Wort unter die Lebenden zurück – Frühstück!
Wir gehen mit den ersten Sonnenstrahlen rüber zur Energietankstelle – sprich, die nette Anrichte im Kaffee des Schwimmbades.
Die Gedanken sind schon seit dem gestrigen Abend bei unserem heutigen Etappenziel.
Was uns heute erwarten wird? Die Karte sagt: Laufen, kleiner Berg, Laufen, Laufen und nach 24 km nochmal hoch auf 2269m. „Sag mal Stopp!“ – irgendwo im Schatten des großen Berges ist ein Erschöpfungspunkt für mich reserviert.
Dani und ich schließen den Tag schon kategorisch ab. Wir haben das erreicht was wir erreichen wollten. Und wenn wir heute scheitern? Dann ist es halt so.
Wir gehen nicht mit großen Erwartungen in diesen Tag, aber wir werden den Kampf trotzallem annehmen! Unser ganz persönliches, letztes Gefecht! Mit diesen Gedanken kann der Tag sehr relaxt kommen. Wir haben unseren Frieden gemacht!
Katzenwäsche, Sachen packen und abgeben. Mit dem Shuttlebus geht’s wieder auf Start.
Benny, Eva, Carsten, Susanne, Heidi, Christian, Juli, Andreas, Erika, Tiziana, Team Neandertal und J.D. Alle noch da. Mit kleinen Scherzen und belustigenden Aufmunterungen sammelt sich die Meute in den Startblöcken. Wir sind bereit – oder auch nicht!
„Highway to Hell!“ zum sechsten Mal. Es treibt uns auf eine 38 km lange Strecke. Sämtliche Gedanken an Aufgabe, Zusammenbruch oder gar, nicht ankommen lösen sich mit überschreiten der roten Startlinie in Nichts auf. Das Klatschen und Jubeln der Zuschauer links und rechts der Straße pumpt Endorphine in die Blutbahn. Fast schon euphorisch lassen wir Sand in Taufers hinter uns. Wir treiben in der Masse der Läufer mit. Nach 3 km hör ich ein – dialektbehaftetes scherzhaftes Rufen „San ma noch in der Zeit?“. Der Blick auf die Uhr und die Distanz sagt – super Zeit, viel Puffer. Wir sind unerwartet schnell.
Fast im Zeitraffer erreichen wir unseren ersten „Hügel“. Rein in den Wald und hoch den Weg. J.D. hat schon eine Weile an seinem kultigen Text, gebastelt. „Oh Oh Bananashoe“ klingt mal vor mir, mal hinter mir, mal seitlich in meinen Ohren. Sichtlich bespaßt lässt er uns alle an dem „Bud Spencer -Remix“ teilhaben und es wird in den Chor eingestimmt. Zumindest solange, bis der Weg wieder steiler und die Luft zum Atmen gebraucht wird. Die Stimmen verklingen langsam und wir zuckeln Stock an Stock den Weg hoch.
Helene Fischers „Atemlos“ löst mittlerweile „Bananashoes“ ab. Was jeden in der U-Bahn zur Verzweiflung bringt ist beim TAR eine willkommene Abwechslung. Handy auf Lautsprecher gestellt und einfach die Umgebung musikalisch beglücken. Und selbst vor dem Kulturgut „Atemlos durch die Nacht“ wurde schnell eine passende Variante für den TAR gefunden – Atemlos auf den Berg. 
Mit dem lichten des Waldes passieren wir unser Hindernis Nr. 1. Ab jetzt geht’s erstmal eine ganze Weile Berg ab und gerade. Die unwesentlichen Höhenmeter die wir hinter uns gebracht haben? Nichts im Vergleich zum Aufstieg auf den „Kronplatz – 2269m“ der noch kommen würde.
Wie das Leben so spielt – Du denkst an durchstarten und verreckst beim Antritt. Leichtes Berg ab, auf Waldboden ist Ideal um Zeit gut zu machen. Wir schlagen uns ziemlich gut. Der Zeitpuffer ist sehr gut gefüllt bis zu dem Moment, an dem die großen Schritte zu kleinen Tribblern werden. Dani ist mit einem mal 200m weit weg. Der Fuß schmerzt bei jedem Auftreten. Bergab ist für diesen Moment die Hölle.
Mein Gedanke: „Der ist nur vertreten!“. Mit Dani seiner Paracetamol sollte das Problem wieder in den Griff zu bekommen sein. Wir machen etwas langsamer und schauen einfach, wie das Befinden bei der nächsten Verpflegungsstation ist.
Die Ebene, weniger Tempo und die Paracetamol sorgen nach ein paar Minuten für eine wesentliche Entspannung der Situation. Der Schmerz verfliegt und wir laufen ein angenehmes Tempo. Fast im Takt eines Metronoms(gemütliche 60 BpM). An der „V1“ hat sich mein Zustand soweit verbessert, dass wir nur kurz rasten. 13 Kilometer geschafft – jetzt nur noch 25! Es sieht für den Moment machbar aus.
Aber wir wissen immer noch nicht ob uns unsere Kondition einen Strich durch die Rechnung macht.
Der große Aufstieg kommt noch. Dem Fuß geht’s gut, die Kondition ist im grünen Bereich. Wir laufen und laufen… Unser Ziel ist noch weit entfernt. Langsam sichtbar erhebt sich eine Bergfront mit verschiedenen Gipfeln. Welcher denn jetzt?
Wir lassen uns überraschen, sparen unsere Kräfte und reden wenig. Das Feld hat sich mittlerweile auch etwas auseinander gezogen. Aber spätestens am Berg schiebt’s sie alle wieder zusammen. Auf der Strecke sind kleinere Ortschaften mit einbezogen und sorgen für Abwechslung. Du bist bestrebt in den Straßen der Ortschaften Dir nicht die Blöse des Gehens zu geben. Daher ziehen wir straff durch die Ortschaften. Legen uns in die Kurven und versuchen weitestgehend eine „Gute Figur“ zu machen. Wenn schon gehen, dann wenigstens dort wo es keiner sieht. Männer weinen schließlich auch nicht in der Fußgängerzone!
 Mit Erreichen der letzten „V“ vor dem mörderischen Aufstieg zum Kronenplatz nutzen wir nochmal die Gelegenheit einen Happen, vielleicht den letzten, zu uns zu nehmen. Jetzt wo wir so nah dran sind, sieht der Berg gar nicht mehr so hoch aus. Wir haben keine Zeit uns in fitzelige Gedanken zu verlieren. Wir sind gestärkt und greifen uns den Brocken!
In Serpentinen geht es eine Weile links, rechts den Berg hoch. Immer unter der Seilbahn durch. Erstaunlich leicht kommen wir voran. Ich zähle die Pfeiler der Seilbahn, die wir hinter uns lassen. Sieben Acht, Zehn! Ich warte immer noch auf den „steilen Anstieg!“, der mir die Kraft aus den Gliedern saugt und mich auf der Stelle treten lässt.
Wir können schon fast über die Kuppe schauen. Die Schneise der Seilbahn lässt uns immer wissen, wie weit wir noch müssen. Es kann nicht mehr weit sein!
Mit der Baumgrenze sehen wir unsere letzten Kilometer bis zum Gipfel und es wird wesentlich steiler. Doch heute scheint nicht der Tag zu sein, an dem wir am Berg scheitern.
Mit den letzten 2 km beginnt zur Mittagszeit nochmal ein richtig steiler Aufstieg. Wir sehen Läufer, die sich einen immer steileren, direkteren Weg zum Kronenplatzplateau erkämpfen. Den Dani kann da nichts mehr halten, der Wettkämpfer in ihm schlägt durch. Er zieht nochmal richtig an und überholt einen nach dem anderen. Ich geh mein Tempo – stetige kleine Schritte. Und die letzten 300 Meter beiss ich nochmal richtig, meine Waden brennen heisser als jeder Hochofen!
Oben warten die Fotographen und das TAR-Aufmunterungsteam mit den Puscheln und Kuhglocken. Es gibt wohl keinen besseren Ort um die Erschöpfung und Erleichterung in Bildern festzuhalten.
Endlich wieder entspannt laufen. Ab jetzt geht’s nur noch runter, runter, runter.
Das war also der Berg! Wir drehen uns um und sehen den Weg, den wir gekommen sind. Wow – doch ziemlich steil! Wir stehen oben und wissen eigentlich schon – das war es. Wir können das Ziel wirklich erreichen – 8. Tag Sexten, greifbar. Es bleibt ein wenig Zeit für die schönen Dinge. Die Beine etwas ausschütteln, ein Gipfelbier (alkoholfrei) und ein paar Fotos.
Eine riesige Glocke ist der Blickfang auf dem Kronplatz. Wir sind leider eine Stunde zu spät um den Gong zu hören. Es reizt schon mit einem schweren Gegenstand einmal dagegen zu hauen.
Nur um zu hören, wie die Glocke klingt! Verbotene Dinge sind immer noch die Schönsten!
Bei Sonnenschein und einer Prise Wind spazieren wir zum anderen Rand des Kronplatzes. Ein Trampelpfad in der Bergwiese lädt zu einem gemütlichen Downhill ein. Ich lass die Beine laufen und poltere in Schritten, die größer, als mir lieb sind den Berg hinunter. Der Dani ist irgendwo hinter mir.
Selbst beim Einbiegen in enge Kurven schweift der Blick nach oben, um zu sehen, wo er bleibt. Weit und breit kein Teampartner zu Sehen. Die Zeitnehmermatte zwingt mich unmittelbar zu stoppen. Zeitstrafengefahr!
Ein paar Meter weiter ist auch schon wieder eine „V“. Also gibt’s auf die Verschnaufpause wieder eine Energiepause. Dani ist mittlerweile auch aufgetaucht. Leicht lädiert passiert er die die rote Matte und wir laufen in die „V“ ein. Diesmal ein Sammelsurium an Halbverletzten. Benny und Carsten sind auch da! Ein Bein sieht behandelt aus, aber dem Gesicht geht’s gut – es lacht. Wie immer!
Dani hat sich hinter ein Fahrzeug zur Medi-Crew geschleppt um sich seinen Fuß anschauen zu lassen.
Ich kann da nicht viel machen außer Tee trinken. So schlecht geht es ihm auch noch nicht um Händchen zu halten und Trost zu spenden. Aber ich geh trotzdem mal rüber! Ich sehe schließlich nur 2 Beine hinter einem Auto herausschauen.
Mit einem von Schmerz verzerrtem Gesicht, beim Schuhe anziehen gehen wir die Optionen, die wir haben durch. „Es geht!“ noch und „Aufgeben ist nicht!“. Dafür gönnen wir uns ein paar Minuten mehr Schonzeit.
 Mit langsamen Schritt setzen wir uns wieder in Bewegung. Erst leicht, gemütlich, dann doch etwas schneller. Wir pressen die Schmerzen aus den Knochen. Jeder Schritt ist federleichtes Aufsetzen.
Wir müssen noch einmal holprige Waldwege hinab bis wir wieder urbanes Terrain erreichen. Die letzten Kilometer geht’s auf Asphalt weiter. In den Ohren dröhnt beim einen Metall und beim anderen Klassik. Die Musik puscht nochmal ordentlich treibt die müden Knochen an die Grenze.
Wir überholen gen Ziel sogar noch den ein oder anderen. Und nach knapp 7 Stunden schieben wir uns durchs Ziel. „Und da sind sie wieder – Daniel und Daniel! – Nice Boys Finish Last“schallt uns aus riesigen Boxen entgegen. „Doch noch im Ziel gelandet!“, denk ich mir, während der eiserne Geschmack von Blut langsam wieder mit der Atemluft entweicht.
Geschafft von den Strapazen setzen wir uns mit einem kühlen Bier in die Sonne und lassen den Schweiß, der immer noch in Sturzbächen die Stirn herunterläuft, antrocknen. Für die, die im Ziel sind beginnt schon ein kleines Feiern. Alle sind entspannt und gelöst – Strandatmosphäre im Gebirge.
Gerannt wird nur bis zur Ziellinie, danach beginnt das kleine Urlauben. Gemächlich wird über den Marktplatz getrabt. Meist hängen die Arme schlaksig am Körper und halten locker ein isotonisches Getränk in den Händen. Im Vergleich zum ersten Tag ist der Tumult und die Hektik durch ein gemütliches Beisammen sein gewichen. Nach einer guten Stunde in der Sonne und einem leichten Sonnenbrand auf der Nase gehen wir zu unserer neuen Unterkunft…

Kuschelparty in der Sporthalle!

Eine Turnhalle!
Wir müssen diesmal nicht im Dunkeln durch die Gänge schleichen. Es ist hell und angenehm. Fast wie in einem Gewächshaus. Der Platz ist ausreichend, zumindest so, das keine Revierkämpfe zu befürchten sind. Aber keiner würde heute streiten wollen. Warum auch? Die warmen Duschen besorgen den Rest um auch den letzten in die Oase der Frömmigkeit zu befördern.
Ich hätte mir sogar die Zeit genommen, meine nassen Klamotten mit Wäscheklammern auf die Leine zu hängen. Aber dieses eine Mal geht es auch ohne.
Wir haben kein Zeitgefühl mehr. Nur noch hell und dunkel. Also schauen wir, dass wir noch bei Tageslicht zum Briefing und der Verpflegung kommen. Das Gehen fällt auch wesentlich leichter – unter den alten Blasen hat sich mittlerweile Hornhaut gebildet. Während Sieger, Videos und Bilder des heutigen Tages präsentiert werden schaltet das Großhirn wieder zu. Euphorie, Schmerzen und Monotonie der Tagesstrecke versetzten es Zeitweise in den Ruhemodus.
Dani und ich haben wieder etwas Zeit zu überlegen, wie wir den morgigen Tag gestalten. Benny, der hüpfend und lachend aufgetaucht ist übermittelt uns die Info, dass wir um Haaresbreite am „Best Improver“ vorbei gerauscht sind. Ich verfluche die Tage, an denen ich nicht trainieren war! Wir hätten einmal aufs Treppchen gedurft. Wenn ich in Betracht ziehe, dass wir heute nicht mal mit Ankunft gerechnet haben. Und dann so eine Nachricht. Das kann einen ganz schön den Tag versauen.
Der Ehrgeiz packt mich und ich denk mir „Jetzt erst recht!“. Im halbdunkeln gehen wir zurück zur Turnhalle und ich rege mich wahnsinnig auf. Vielleicht nicht lautstark, aber die vor Stunden einkehrende Frömmigkeit wird mit jedem Schritt zu einem gequälten Frosch.
Während der Dani so langsam in die Pyjamaliga wechselt, suche ich mir mit Stirnlampe und Laptop bewaffnet irgendwo im Flur eine Ecke zur „Streckenplanung“.
Rennfahrer haben einen Mentaltrainer, der sie dazu anhält innerlich die Strecke wieder und wieder abzufahren. Ich gehe die morgige Strecke innerlich zigmal ab – setze Stopps und hoffe auf die schadlose Umsetzung meiner Gedankenspielerei. Auf einem kleinen Zettel werden krakelig Zeiten und Kilometer notiert. Ein Meisterwerk mit dem Titel „Das sollte funktionieren!“
Das Licht ist wiedermal aus. Ich schleiche mich wie ein Stubentiger in die Turnhalle, durch ein Meer der unruhig Schlafenden und natürlich selig Schnarchenden.
An meiner Liege angekommen versuche ich leise eine möglichst angenehme Schlafposition einzunehmen. Ohne großartig Lärm zu machen oder auf andere Weise unangenehm aufzufallen.
Mit dem lauten Knarzen der Liege, dem Rascheln einer Folietüte und des Schlafsacks gelingt mir das leider nur halbwegs. In der Nacht hört sich aber auch alles so verdammt laut an.
Selbst das Atmen erscheint unerträglich lärmend. Luft anhalten löst dieses Problem leider nur für ein paar Minuten, wenn überhaupt. Aber ich finde zum Schluss doch noch die passende Schlafposition und kann für ein paar Stunden meinen schmerzenden Gliedern entkommen.

Tag 7 – Niederdorf or Bust!

7.30 Uhr sagt die Uhr als wir uns von der Turnhalle aus aufmachen. Es ist früh und unsere Beine sind schwer vom Vortag. Heute geht es an die letzte wirkliche Herausforderung auf einem wahrlich traumhaften Streckenabschnitt. Das Wetter hat sich seit Prettau stark verbessert. Es ist kühl, aber nicht nass. Unser Gang ist zwar hölzern, doch unser Wille ist nach wie vor ungebrochen. Wir wissen, wenn wir es heute schaffen – dann haben wir es fast im Sack!! Wir, die 0815-Jungs. Der Bodensatz des Rennens. Die blutigsten der Hobbysportler. Ein Traum rückte in greifbare Nähe, doch dafür würden wir noch einmal richtig klotzen müssen! Niederdorf or Bust. Alles oder nichts! Heute – JETZT.

 

„Highway to Hell“ schallt wieder aus den Boxen. Wir stimmen uns ein, gröhlen mit – es muss nicht schön klingen, nur laut sein! Da ist keine Anspannung und kein Zweifel mehr. In den ersten Tagen waren wir nicht sicher was in uns steckt und was uns erwarten würde. Nun sind wir geprägt von Selbstvertrauen und Zuversicht. Losgelöst von allen Sorgen erklingt der Startschuss. Wir fließen mit der Masse mit, zusammen mit den „fliegenden Röcken“ nehmen wir das Flachland vor dem ersten Anstieg ins Visier.
Wir laufen an kleinen Flüssen vorbei, die Landschaft wirkt wie ein sich verengender Canyon und ist bereits jetzt schön anzusehen. Nach etwas mehr als einer Stunde gibt es an der ersten Versorgung ein zweites Frühstück – der Berg begrüsst uns keine fünfzig Meter dahinter.
Der Weg ist steil und nimmt uns rasch den Wind aus den Segeln doch das ist in Ordnung, wir haben aus den Etappen gelernt, wissen wo und wann wir unsere Kräfte am effektivsten einsetzen müssen. So quälen wir uns mit anderen Läufern Berg auf bis wir schliesslich ein Plateau erreichen. Naturschutzgebiet! So sieht es auch aus, unberührt, wunderschön und fern aller Alltagsgeräusche. Wir laufen über wunderschöne Trails und genießen schlichtweg diese geniale Etappe. Auf dem letzten Stück werden wir von einer Schafsherde zu größter Eile angetrieben. Lachend erreichen wir den ersten Gipfel. Zeit für ein paar Fotos, dann geht’s weiter voran. Gleich muss doch der Pragser Wildsee auftauchen!

Die Uhr sagt uns das wir unsere Geschwindigkeit erhöhen sollten. Ein letzter Blick über die Schulter, einmal mehr müssen wir uns von den „fliegenden Röcken“ trennen. So gerne wir vom Start an bis ins Ziel mit ihnen gelaufen wären, so wichtig war uns auch ein erfolgreicher Zieleinlauf als Finisher des TAR. Es schmerzt uns die beiden Mädels sich selbst zu überlassen und wir hoffen das sie es uns nie übel nahmen doch wir wollten, nein wir mussten, am Gashahn drehen.

Wir fliegen den Berg hinab, vergessen der Schongang den wir uns vorgenommen hatten. Schotter fließt wie Wasser um unsere Schuhe als wir voll einsteigen. Dani fliegt mit riesigen Schritten an mir vorbei – ich ertrinke beinahe in Kieselsteinen die wundersamer Weise ebenso zum Überholvorgang ansetzen, bin ich so verdammt langsam???
Wie eine Lawine pflügen wir in Richtung des Sees hinab. Zuschauer jubeln, die Linsen der Fotografen verfolgen uns während wir wie eine Naturgewalt, schnaubend, stampfend und schlitternd auf den nächsten Verpflegungspunkt zuhalten.
Zeit ist gut, Puls stimmt auch! Wir genießen einen Snack am wunderschönen Wildsee. Am liebsten würden wir reinspringen doch wir haben noch Strecke vor uns. Also los, Fokus auf die Strecke und ab. Kurzer High-Five mit Beni´s persönlicher Supporter-Crew, dann geht es wieder in die Steilwand. Ein letzter Aufstieg. Erst durch den Wald, dann ab in den Kies. Mühsam winden sich die kehren den Berg hinauf. Wir trotten locker dahin, doch machen kaum Höhenmeter. Als wir endlich den zweiten Gipfel der Etappe erreichen zittern unsere Beine. Wir haben keine Lust auf den anstehenden Downhill, es fehlt die Kraft. Dani hat Schmerzen im linken Sprunggelenk und im rechten Oberschenkel, er kann kaum noch gehen. Das Grundprinzip war es während des Rennens stets ohne Schmerztabletten auszukommen. An Tag sieben musste er leider eine Ausnahme machen.
Den Schmerz aufgeschoben mühen wir uns den Berg hinab, wir sehnen uns nach der dritten Versorgung, wissen das es sich danach nur noch um lockeres auslaufen handeln wird. Die Zeit bildet ein gutes Polster für uns und die Zuversicht steigt als wir endlich aus dem Wald heraus kommend die V3 erblicken. Johlend stürmen wir den Jungs von Plan-B entgegen welche uns ebenso begeistert begrüßen. Dieses Typen … sensationell! Noch einmal werfen wir geschnittenen Käse, Obst, Wurst und Kuchen in unseren Schlund, spülen kräftig nach und flachsen mit den Betreuern. Dann weiter, die letzten vielleicht 10 Kilometer wieder durch flaches Land und leichtes Gefälle. Wie so oft zieht sich die Strecke kurz vor dem Ziel wie Kaugummi. Doch nun hält uns nichts mehr. Die heutige Etappe war eine der schwersten doch das lassen wir uns nicht anmerken als wir nach Niederdorf kommen. Die letzten Kurven bis zur Zielgeraden dann ist es vorbei. Wir sind da, Danis vorabendliche Planung war ein voller Erfolg!Zusammen gaffen wir auf unsere Zeit um uns dann, wissend von unserer durchaus guten Leistung, wie zwei Schulkinder anzugrinsen welche den perfekten Streich geplant und schliesslich ausgeführt hatten.
Von bester Laune beseelt werfen wir uns in die Sonnenstühle. Das kühle Bier schmeckt heute besonders gut. Wir lachen, feiern, leben und durchleiden nochmals den heutigen Tag. Dann laufen die „fliegenden Röcke“ ein. Wir johlen und jauchzen unseren Mädels zu und freuen uns mit ihnen den heutigen Tag geschafft zu haben dann zieht es uns in Richtung Camp. Was nur würde uns heute erwarten?

Clever musst du sein!

Wieder ist es eine Turnhalle in der wir die Nacht verbringen würden. Doch ist sie um ein vielfaches kleiner als die vom Vortag. Wir liegen zentral, genau in der Mitte mit zu wenig Platz um unsere Schlafsäcke überhaupt ausrollen zu können. Das bringt einen bereits in entsprechende Stimmung. Als wir dann auf eiskalte Duschen stoßen sind wir kurz davor die Nacht in einem Hotel vor Ort zu verbringen. Ich ärgere mich schwarz, klappte die Organisation des Veranstalters bis dahin doch tadellos. Dani hingegen ist schon wieder unterwegs – hat keine Zeit sich zu ärgern, arbeitet lieber an einer Lösung.

Diese finden wir schliesslich auch. Etwas Absperrband kann uns nicht daran hindern unser Gepäck in das benachbarte Treppenhaus einzuschleusen. Augenblicklich sinkt die Geräuschkulisse. Zwar ist es kälter als in der Turnhalle, doch würden wir die Nacht ohne Schnarchkonzert, ZweiUhr-Nachts-Pinkler und Frühaufsteher verbringen. Wir grinsen von unserem erhöhten Standpunkt aus hinab in die überbelegte Turnhalle. Clever muss man eben sein – oder einfach nur dreist genug.

Doch das ist auch nötig. Ich habe mir eine schwere Erkältung eingefangen die sich noch am selben Abend für sieben Tage Extremsport bedanken möchte. Die Nacht wird somit unruhiger als gedacht. Ich huste und krächze – mein Teampartner tut mir leid, ich weiss das ich ihn um seinen Schlaf bringe.

Viel zu oft wache ich in dieser Nacht auf, an Tiefschlaf war nicht zu denken. Als der Wecker schliesslich klingelt bin ich bereits wach. Vollkommen verschwitzt, mein Schlafsack ebenso. Ich verfluche den grippalen Infekt und stelle mich auf einen harten, letzten Tag ein.

Heute werden wir nach Sexten laufen und wenn mich Dani dafür würde tragen müssen!!

Tag 8 – Sexten, die Materialschlacht!

Ein letztes mal, Highway to Hell. Wir sind ausgelaugt, unsere Körper sind gezeichnet von den letzten Etappen. Was uns aufrecht hält? Ein gemeinsamer Traum! Denn wir haben in den letzten Tagen nicht nur gelitten. Der TransAlpineRun hat uns gezeigt was für eine Art Mensch wir sind. Unsere Freundschaft ist gewachsen und uns ist klar geworden das, wenn wir es nur wirklich wollen, im stande sind Berge zu erklimmen und Distanzen zu überbrücken vor welchen andere erschrocken zurückweichen. Obgleich unser Körper schmerzt, unsere Seele ist gestärkt und unser Wunsch das Ziel in Sexten zu erreichen brennt intensiver denn je.
Das Profil des letzten Tages ist gnädig. Wir laufen lang, aber es ist nur ein einzelner Anstieg. Wir wissen, wenn wir unverletzt bleiben und uns noch einmal für ein paar Stunden quälen – dann schaffen wirs.
Startblock B wäre heute für uns reserviert gewesen, doch routiniert reihen wir uns im hinteren Drittel der verbliebenen Läufer ein. Startblock C, da findest du keine Profis oder Hardliner. Da findest du motivierte Freunde und verrückte Mitstreiter. Hier hinten stimmt die Chemie. Es wird getanzt und gelacht – wohl weil ersteres nicht mehr ganz so gut aussehen kann.
Als wir schliesslich auf die Strecke geschickt werden ist die Laune der Läufer vorzüglich. Erstaunlich lang bleibt das Feld beisammen und frotzelt. Mit jedem Tag ist dieser Lauf etwas weniger Wettkampf und etwas mehr Familie geworden. Wir ziehen den Hut vor allen Athleten und der vorzüglichen Organisation.
Das lange, gerade Stück letzten Endes hinter uns gelassen kämpfen wir uns auf immer steiler werdenden Kieswegen hinauf zu den „Drei Zinnen“. Das Wahrzeichen der Tour. Als wir schliesslich vor dieser bemerkenswerten Felsformation stehen sind wir den Tränen nahe. Kurz nur vergessen wir unsere Zeit und bestaunen den Anblick welcher sich uns bietet. Doch dann müssen wir weiter wollen wir doch ein Rennen gewinnen! 😉
Am höchsten Punkt der Tour stehen nochmals unsere Helden von Plan B. Wir werden mit Eisspray und pinkfarbenen Cheerleaderpüscheln begrüßt bevor es in den letzten Downhill geht. Man, hier lassen wir nochmal so richtig die Sau raus. Vergessen die Schmerzen welche uns dieser überstürzte Abstieg einbringen wird. Wir sind kurz vor Sexten. Dort vor uns, mitten auf der Straße, ein Pfeil in Richtung Sexten. 292 km geschafft, 1 km noch vor der Brust. Keiner spricht. Was sollten wir auch sagen? Wir genießen die letzten Eindrücke unseres gemeinsamen Abenteuers. Dann kommt das Ziel in Sicht. Ich möchte Dani schon jetzt um den Hals fallen und lache hysterisch. Als wir die Ziellinie überschreiten steht die Welt für Momente still. Der Zeitdruck und die Anspannung welche lange Tage auf unseren Schultern gelastet hat ist verpufft. Wir haben es geschafft. Wir sind FINISHER des TAR 2014!!
Orientierungslos wandern wir mit unseren Medallien um den Hals durch den Zielbereich in Sexten. In uns herrscht seltsame Stille. Frieden nach einer langen Zeit des Kampfes gegen die Strecke, gegen sich selbst. Nur langsam dämmert uns was wir erreicht haben. Das wir nicht wie soviele andere gescheitert sind. In dieser Nacht schlafen wir beide kaum. Die Finisherparty ist berauschend! Keiner von uns kann tanzen und doch tun wir es voller Begeisterung. Das Bier schmeckt besser als je zuvor und Highway to Hell kommt noch ein letztes mal, gröhlend über unsere Lippen.
Am nächsten morgen, noch vor der eigentlichen Heimfahrt, einigen wir uns darauf – verkatert und hinkend – das wir soetwas nie wieder tun würden.
Wenige Wochen später melden wir uns für den TAR 2015 an.
Eure
Nice Boys Finish Last.
Denn wer will, der kann.

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